Wie gehen Rettungskräfte mit Angriffen auf ihre Person um?

Rettungssanitäter in NRW erleben mehr Gewalt. Neues Meldesystem und Unterstützung sollen helfen, die Sicherheit der Einsatzkräfte zu verbessern.

Ein Rettungswagen auf dem Weg zu einem Einsatz
© picture alliance/dpa | Boris Roessler

In Nordrhein-Westfalen und anderen Teilen Deutschlands sehen sich Rettungssanitäter zunehmend mit Gewalt konfrontiert. Die jüngsten Zahlen des Bundeslagebildes zeigen, dass im Jahr 2023 insgesamt 2.050 Fälle von Gewalt gegen Rettungsdienste registriert wurden, was einem Anstieg von 6,8 Prozent entspricht. Diese Vorfälle betreffen 2.902 Opfer, ein Plus von 8,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die häufigsten Angriffe sind körperliche Übergriffe, die oft in stressgeladenen Situationen auftreten.

Erfahrungsberichte und Erhebungen aus NRW

In Nordrhein-Westfalen wurde ein neues Meldesystem für Gewalt gegen Einsatzkräfte eingeführt, das es den Betroffenen ermöglicht, Angriffe online zu melden. Zwölf Kreise und kreisfreie Städte testen seit 2022 das "Innovative Melde- und Erfassungssystem Gewaltübergriffe (IMEG)". NRW-Innenminister Herbert Reul betont: "Angriffe auf diejenigen, die uns schützen und dienen, egal ob sie verbal, nonverbal oder sogar körperlich erfolgen, könnem und werden wir niemals akzeptieren." Das System soll den Meldeweg vereinfachen und die Fallbearbeitung beschleunigen, wobei die Nachsorge für betroffene Helferinnen und Helfer im Vordergrund steht.

Was ein Rettungssanitäter zu Übergriffen berichtet

Simon Thomas, Rettungssanitäter in Grevenbroich, erlebt bei jedem Einsatz einen Anstieg des Pulses, nicht nur wegen der bevorstehenden Herausforderung, sondern auch aus Angst vor Übergriffen. "Ja, tatsächlich. Zweimal in meiner vier- bis fünfjährigen Karriere wurde ich angegriffen", berichtet Thomas und bestätigt, dass solche Vorfälle zunehmen. Bei einem Einsatz wurden er und ein Kollege zu einer scheinbar bewusstlosen Person gerufen. "Als wir da waren, haben wir festgestellt, dass der Patient nicht mehr bewusstlos war. Als wir ihn auf die Trage bringen wollten, schlug er plötzlich um sich und traf meinen Kollegen so schwer, dass dieser im Krankenhaus behandelt werden musste", erzählt Thomas.

Simon Thomas ist junger Rettungssanitäter aus Grevenbroich© Jens Rustemeier
Simon Thomas ist junger Rettungssanitäter aus Grevenbroich
© Jens Rustemeier

Die Aggressivität gegenüber Rettungskräften nimmt zu, und selbst mit Blaulicht und Martinshorn wird ihnen die Vorfahrt genommen. "Es wird einem auch mit Martinshorn und Blaulicht noch die Vorfahrt genommen", sagt Thomas. Bei dramatischen Fällen, wie einem Kind, das von einem Auto überrollt wurde, wird es schwierig, zum Patienten zu gelangen. "Das Kind war von Menschen umschart, sodass wir gar nicht bis zum Patienten vorkamen", beschreibt er die Situation.

Laut DRK leiden 13 bis 14 Prozent der Mitarbeiter durch solche Übergriffe an Depressionen. "Das nimmt uns mit, das nimmt uns auch teilweise langfristig mit", gesteht Thomas und zeigt, wie belastend diese Erlebnisse sind.

Unterschiede zwischen Rettungssanitätern und Feuerwehrleuten

Während Rettungssanitäter häufig mit körperlichen Angriffen konfrontiert werden, erleben Feuerwehrleute vermehrt verbale und nonverbale Übergriffe. Im Jahr 2023 wurden 687 Fälle von Gewalt gegen Feuerwehrkräfte deutschlandweit registriert, ein Anstieg von 5,7 Prozent. Die Natur der Einsätze unterscheidet sich: Feuerwehrleute sind oft in Großschadenslagen tätig, wo sie mit aggressiven Menschenmengen konfrontiert werden, während Rettungssanitäter in direktem Kontakt mit Patienten und Angehörigen stehen, was zu emotionalen und unvorhersehbaren Reaktionen führen kann.

Auf einem Feuerwehrauto ist die Notrufnummer 112 zu erkennen.
Während Rettungssanitäter häufig mit körperlichen Angriffen konfrontiert werden, erleben Feuerwehrleute vermehrt verbale und nonverbale Übergriffe.© picture alliance/dpa | Niklas Treppner
Während Rettungssanitäter häufig mit körperlichen Angriffen konfrontiert werden, erleben Feuerwehrleute vermehrt verbale und nonverbale Übergriffe.
© picture alliance/dpa | Niklas Treppner

Gewalt gegen medizinisches Personal: Der Fall im Essener Elisabeth-Krankenhaus

Ein erschreckendes Beispiel für Gewalt gegen medizinisches Personal ereignete sich im Essener Elisabeth-Krankenhaus. Besucher eines Patienten griffen Mitarbeiter so heftig an, dass mindestens sechs Angestellte verletzt wurden. Eine 23-jährige Angestellte musste stationär behandelt werden. Der Vorfall begann, als die Familie eines verstorbenen Patienten die Todesnachricht erhielt und daraufhin die Ärztin mit Schlägen und Tritten attackierte. Die Aggressivität der Angreifer, die dem Clan-Milieu zugeordnet werden, führte zu einer Zäsur für das Krankenhaus. Als Reaktion wurden Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, darunter Zugangskontrollen durch einen Sicherheitsdienst.

Auf einem Schild in einem Krankenhaus steht Notaufnahme.
Häufiger Tatort für tätliche Angriffe auf medizinisches Fachpersonal sind Notaufnahmen.© picture alliance/dpa | Christian Charisius
Häufiger Tatort für tätliche Angriffe auf medizinisches Fachpersonal sind Notaufnahmen.
© picture alliance/dpa | Christian Charisius

Maßnahmen und Unterstützung

Das IMEG-System bietet konkrete Hilfsangebote für die Betroffenen, darunter psychologische Unterstützung und die Möglichkeit, Strafanträge zu stellen. Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann unterstreicht die Bedeutung der Nachsorge: "Die Nachsorge bei Übergriffen ist eine unerlässliche Hilfe für die betroffenen Helferinnen und Helfer. Wir sind es den Einsatzkräften schuldig, dass wir uns um sie kümmern." Die schnelle und unkomplizierte Übermittlung von Vorfällen soll Hürden abbauen und die Sicherheit der Einsatzkräfte erhöhen.

Darum geht es in diesem Artikel

  • Gewalt gegen Rettungssanitäter in NRW steigt.
  • Neues Meldesystem IMEG zur Erfassung von Übergriffen.
  • Unterschiede zu Feuerwehrleuten: Art der Angriffe.
  • Unterstützung: psychologische Hilfe, Strafanträge.

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